Der Klang der Heimat – Leipzigs russische Seele [Reportage 2016]

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Seit elf Jahren lebt Chorleiter Konstantin fern seiner alten Heimat Russland, aber ohnehin ist die Musik sein Zuhause. In Leipzig trifft man „russische Seele“ pur: ob Gläubige, Künstler oder Arbeiter

Wenn Konstantin Kozakevich seinen Chor dirigiert, wenn er ihn gestenreich anfeuert, dann wieder zu leiseren Tönen bremst, um zwischendurch selbst zum Solisten zu werden und mit seinem Tenor den Saal füllt, dann leuchten seine Augen, dann ist er daheim – in seiner ganz eigenen Heimat, der Musik. Ansonsten tut sich der 36-jährige Musiker aus Moskau mit dem Begriff Heimat eher schwer. Er ist Russe, seine Frau ist Ukrainerin, und sie leben seit elf Jahren in Leipzig. „Ich will dazu beitragen“, so sagt er, „dass die Russen und Russland nicht nur als aggressiv wahrgenommen wird. Wir sind auch das Land von Tolstoi, von Pasternak und Tschaikowski.“ Wenn er „wir“ sagt, meint er alle – die Russen, die Ukrainer, Kasachen, Usbeken oder Kirgisen.

Leipzig hat 543.000 Einwohner. Knapp zehn Prozent haben einen Migrationshintergrund. Die größte ausländische Gruppe bilden die Einwanderer aus der Russischen Föderation mit über 7.000 Menschen. Zählt man die Zuwanderer aus den Satellitenstaaten der ehemaligen Sowjetunion dazu, sind es fast 13.000. Die russische Community in Leipzig ist sehr heterogen. Man differenziert zwischen Russen, Russland-Deutschen, orthodoxen Russen und russischen Juden. In Leipzig trifft man auf die Vertreter aller russischen Seelen: Die Gläubigen, die Kulturschaffenden, die Sportler, die Arbeiter, die Akademiker. Die Reportage nimmt die unterschiedlichen Facetten des russischen Lebens in den Blick und beschreibt die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Integration.

Ob Russen, Russland-Deutsche oder russische Juden

„Was uns alle eint ist die gemeinsame Sprache und Kultur, unsere Wurzeln“, sagt Alina Gonscharenko. Sie ist Jüdin, kam 2001 aus der Ukraine und leitet den Tanzverein Joker, mit dem sie auch international erfolgreich ist. Wenn sie ihren deutschen Pass zeigt, verdrückt sie sich immer noch ein paar Tränen. Sie ist stolz, Deutsche zu sein, auch wenn ihre Seele, so sagt sie, „immer noch ukrainisch ist“.

Lilli Schumann ist Geschäftsfrau und leitet den „Lenta-Supermarkt“ in Leipzig-Paunsdorf. Dort gibt es alles zu kaufen, was in der alten Heimat lieb und teuer war: von wild gemusterten Tischdecken und achtzehnkarätigen Eheringen bis zu Pelmeni, eingelegten Teigtaschen, und dem Lieblingsgetränk aller Russen, dem Wodka. Ihre Kunden reden russisch, sie selbst spricht deutsch mit Akzent – einem sächsischen. Lilli Schumann wurde 1986 in Kasachstan geboren und kam als fünfjähriges Mädchen in die neue, die deutsche Heimat.

Die Willkommenskultur hielt sich in Grenzen

Integration stand für die russischsprachigen Leipziger nie auf dem Stundenplan – die Willkommenskultur hielt sich in Grenzen. Trotzdem haben die meisten den Sprung in die deutsche Gesellschaft geschafft: Sie sind in Leipzig angekommen.

Doch es gibt auch Verlierer: Drogen, Kriminalität, sozialer Absturz sind eine weitere Realität. Die Sozialarbeiterin Katja Kessler, selbst Spätaussiedlerin, begleitet russischsprachige Drogenabhängige auf ihrem Weg in die deutsche Gesellschaft, in der sie nie Fuß fassen konnten.

Kategorie: Technik

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